Behandlungsspektrum: Selbstverletzendes Verhalten

sf

Gemäß Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings- Kindes- und Jugendalters

Definition: „Absichtliche Verletzung des eigenen Körpers, die nicht sozial akzeptiert ist, ohne dass dabei jedoch eine suizidale Absicht vorliegt.“

Häufig ist die selbstverletzende Handlung mit dem Ziel verbunden Stressbelastungen zu ertragen und das eigene psychische Wohlbefinden zu steigern.
Schwerpunktmäßig bei Jugendlichen handelt es ich dabei um oberflächliche und mittelschwere Selbstverletzungen; hierunter fallen Schneiden und Ritzen oder Verbrennen der Haut, das Ausreißen von Haaren, das Stören der Wundheilung, sowie andere Formen von Selbstverletzungen, die episodisch oder wiederholt auftreten und nicht lebensbedrohlich sind.
Es wird davon ausgegangen, dass dieses Verhalten insbesondere bei Menschen auftritt, deren Persönlichkeit ein hohes Maß an Impulsivität aufweisen. Demzufolge wird diese Störung im ICD 10 (Internationales Klassifikationssystem von Erkrankungen) zu den Impulskontrollstörungen zugeordnet.

  • Handlungen werden wiederholt und ohne vernünftigen Grund oder gegen vernünftige Gründe durchgeführt
  • Die betroffene Person besitzt keine Kontrolle über das Verhalten
  • Das Verhalten wird von den Personen selbst als impulsiv erlebt und beschrieben

Studien zufolge (Resch, 2005) geben im deutschsprachigen Raum 11% der 14 jährigen Jugendlichen an, sich bereits einmal selbst verletzt zu haben; davon 4,4% mehr als viermal im Jahr. Die Störung scheint demzufolge keine Seltenheit unter Jugendlichen in Deutschland zu sein. Dabei sind Mädchen und Frauen häufiger betroffen; als Grund hierfür wird, u.a. die höhere Tendenz von Mädchen gesehen, Aggressionen gegen sich selbst zu richten, als gegen die Umwelt.

Gründe für selbstverletzendes Verhalten (Nixon und andere. 2002)

  • Bewältigung depressiver Gefühle
  • Erleichterung von unerträglicher Anspannung
  • Bewältigung von Nervosität/Angst
  • Ausdruck von Frustration
  • Ausdruck von Wut/Rache
  • Schmerz an einer Stelle fühlen, wenn ein anderer Schmerz unerträglich ist
  • Ablenkung von unangenehmen Erinnerungen
  • Bestrafung für schlechte Gedanken /Schlecht – Sein
  • Beendigung suizidaler Gedanken
  • Beendigung des Gefühls von Einsamkeit und Leere
  • Erlangen von Kontrolle in einer Situation
  • Beendigung des Gefühls von Taubheit/Entfremdung
  • Kein bestimmter Grund, „es passiert einfach“
  • Bestrafung dafür sich gut zu fühlen
  • Erlangen von Aufmerksamkeit oder Fürsorge von anderen
  • Um etwas aufregendes zu erleben
  • Um zu einer Gruppe zu gehören

Psychische Störungen als Risikofaktoren
Selbstverletzendes Verhalten tritt im Rahmen verschiedener psychischer Störungen gehäuft auf. Bei folgenden Störungen tritt dieses Verhalten deutlich häufiger auf als bei anderen Störungen:

  • Borderline Persönlichkeitsstörung (gekennzeichnet durch Instabilität im emotionalen Erleben, sozialen Beziehungen und in der eigenen Identität)
  • Störung der Impulskontrolle
  • Substanzmissbrauch
  • Essstörung
  • Depression
  • Angststörung

Verhaltenstherapeutische Behandlungsmaßnahmen
Die therapeutische Zielsetzung ist darauf ausgerichtet, die Funktionen, die von der Selbstverletzung erfüllt werden, durch andere, angemessenere Bewältigungsmöglichkeiten zu ersetzen.
Ausgehend von der Annahme, dass das gestörte Verhalten (Selbstverletzung) wie jedes normale Verhalten auch gelernt wurde, soll das nicht hilfreiche (dysfunktionale) Verhalten durch Lernprozesse verändert werden und angemessenes (funktionales) Verhalten aufgebaut werden. Dabei werden die Zugrundeliegenden Gefühle und Gedanken beachtet und hinterfragt, um die Veränderungen auf der Verhaltensebene zu stabilisieren.
Verhaltenstherapeutische Strategien zur Verhaltensregulation hierbei sind insbesondere

  • Kontrolle der auslösenden oder aufrechterhaltenden Bedingungen
  • Aufbau alternativer Verhaltensweisen
  • Gezielter Einsatz, bzw. Entzug von sozialen Verstärkern
  • Einführung von Selbstverstärkern

Aufbau von Verhaltensfertigkeiten (Selbstsicherheit, kommunikative und soziale Kompetenzen)
Das bekannteste kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren, das zur Behandlung der Borderline Störung entwickelt wurde, bei welcher Selbstverletzung mit besonderer Häufigkeit vorkommt, ist das Dialektisch-Behaviorale Therapieprogramm (DBT) von M. Linehan (1996,2004).
Dieses wurde in eine jugendspezifische Version übertragen (Fleischhaker u.a. 2005).
Hierin wird den verschiedenen Schwierigkeiten, d.h. den Verhaltensmustern, die im Verlauf der Therapie verringert werden sollen, werden bestimmte Fertigkeiten, d. h. Verhaltensmuster, die in der Therapie erworben werden sollen, zugeordnet.

  1. Identitätsstörung (Unklarheit über die eigenen Gefühle): Achtsamkeit
  2. Impulsivität (Handeln, ohne vorher über die Konsequenzen nachzudenken): Stresstoleranz
  3. Emotionale Instabilität (schnelle, intensive Stimmungswechsel; mangelnde Kontrolle über Gefühle): Emotionsregulation
  4. Zwischenmenschliche Probleme(Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen): Zwischenmenschliche Fertigkeiten
  5. Jugendspezifische Dilemmata (extremes Denken, Fühlen Handeln): Walking the Middle Path

(Petermann und Winkel,2005)